Geschichten aus La Palma, von Rose Marie Dähncke Der IQ eines Autoreifen

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Der IQ eines Autoreifen



Glauben Sie mir, der Intelligenzquotient eines Autoreifens ist wirklich erstrebenswert. Er ist viel höher als landläufig angenommen. Jedenfalls war er höher als meiner, als ich die Erfahrung mit ihm machte. Und das frustriert.

Das Ganze hängt mit meinem Auto zusammen. Ein tolles Auto! Ich habe es noch nicht lange und kenne bisher erst einen sehr kleinen Teil seiner immensen Funktionen. Trotzdem traue ich mich schon überall damit hin, wo kein Anderer je mit seinem Auto gewesen ist, und wo sonst auch niemand fahren darf außer Medio Ambiente, unserer Umweltbehörde. Da ich dieser aber pilzlich immer willig zur Hand gehe, gehöre ich dazu und darf. So komme ich nun mit dem neuen Auto überall hin, manchmal auch ein wenig vom rechten Wege ab, schließlich hat es Vierradantrieb.

Diesmal hatte ich mir eine Gebirgspiste bis 2300 m ü.M. ausgesucht. Kurven, Kurven, Kurven. Fast unbefahrbar geröllig-steinig, mit tiefen Auswaschungen, Erdrutschen von der Bergseite her, grobem Steinschlag und großen Vulkanbrocken als ständige Hindernisse, die irgendwie umfahren werden mussten. Ein Stück der Strecke war mehr einer Bobbahn ähnlich als einem Fahrweg. Immer bergauf, bergauf. Aber ich, stolz auf meinen Mut und Unternehmungsgeist, schaffte das natürlich alles. Vielleicht war das gewagte Unternehmen aber schon das Anzeichen für minderen IQ, denn ein Intelligenterer würde diese Fahrt erst gar nicht unternommen haben. Da hatten natürlich die Pilze schuld, denn ich wollte zu gerne die Arten dieser Höhen- und Klimalage ergründen (ich fand auch welche). Auf dieser abenteuerlichen, viele Kilometer langen Piste traf ich keinen Menschen, ich war mutterseelenallein. Und das war gut so, denn plötzlich bemerkte ich am Armaturenbrett eine kleine rote Leuchte, die mir bestimmt einen Schreck eingejagt hätte, wenn es einen Zweck gehabt hätte. Hatte es aber nicht. Hier war niemand, der mir in einem schlimmen Falle helfen konnte, und das Handy hatte hier keine Deckung. Ist das nicht himmlisch, dass es auf der Welt noch ein Fleckchen gibt ohne Handydeckung?! Sogar in meinem Haus habe ich fast keine, und man muss schon aufs Dach steigen, wenn man sich in eine vorbeiirrende Welle einschleichen möchte. Also, dachte ich, wenn es was Schlimmes ist, bist du sowieso verloren, und wenn es nur ein kleiner Defekt ist, überlebst du es vielleicht. Die ABBA vom Sechs-CD-Wechsler unter meinem Fahrersitz sangen (Fernandoo---) unerschrocken weiter. Das machte mir Hoffnung. Auf der roten Leuchte sah ich vier pfeilähnliche Striche mit kopfigem Haken. Ohne Lesebrille konnte ich das nicht so genau erkennen. Aber plötzlich wurde ich erleuchtet: mein Wagen ist eben sensationell! Er ist nicht nur mit einem stromlinienförmigen, an den Motor angeschlossenen Kühlschrank ausgestattet, der bei jeder Hitze gekühlte Getränke und ein erfrischendes Picknick bereit hält, sondern er stellt auch den zusätzlichen Antrieb der vier Räder selbständig und unbemerkt an, wenn er es für nötig hält. Das wird es sein, sagte ich mir, diese vier Zeichen sollen sicher die vier Räder darstellen, im Profil, oder Halbprofil, oder überhaupt. Das war mir sehr lieb, denn bisher hatte ich damit noch keine Erfahrung. Und so fuhr ich mit geballter Kraft immer weiter, immer höher, immer unwegsamer. Später das Gleiche wieder bergab, und die vier Räderzeichen blieben treu im Visier. Sehr tröstend. Auch hinab waren die Kilometer nicht weniger geworden, die Kurven auch nicht, und ich fuhr und fuhr. Die Hindernisse waren noch die gleichen, schwierig zu passieren, aber dazu hatte ich ja den tollen Wagen. Letztlich der Pilze wegen! Um sie auch in unwegsamem Gelände zu erforschen.

Aber - was ist jetzt los??? Plötzlich ist die rote Lampe aus! Die Räder sind weg!! Was das nun soll. Die Piste war genau so ruppig wie vor- und nachher. Nach eigenem Gefühl hatte sich die Zusatzkraft weggestellt. Ich erlaubte mir, den Blick einmal vom Weg zu erheben und mehr voraus schweifen zu lassen, und da sah ich doch tatsächlich in einer Entfernung von etwa 200 Metern durch den lichten Kiefernwald hindurch ein kleines Stück der Teerstraße, von der ich vorher abgezweigt war. Also hatten die Räder es geahnt mit hoch entwickelter Intuition, dass wir uns der Straße nähern, oder mit einem präzisen Gedächtnis für die Kilometerzahl der Piste und entschieden sich: 'nun haben wir es bald hinter uns; wir können schon mal abschalten'.

Was sagen Sie nun? Ist das ein bemerkenswerter IQ? Oder nicht?

Mein Auto heißt Scénic RX 4 und ist von RENAULT. Sollten Sie sich auch kaufen.

Ein Jahr später. Peinlich.

Ich fühle mich Ihnen gegenüber, die Sie vielleicht auf mein Anraten dieses tolle Auto gekauft haben, verantwortlich und muss Sie nun leider auf eine kleine Schwäche hinweisen: das Vorderteil kann abfallen, einfach so.

Mir passierte das an einem Sonntag, als ich auf der asphaltierten Straße durch unser Dorf fuhr. In der Kurve knallte vorne etwas auf die Fahrbahn und gab dann rhythmische polternde Aufschläge von sich. Die drei mir gerade entgegenkommenden Autos rissen entsetzt die Augen auf und sprangen beiseite. Ein Fahrer zeigte noch geistesgegenwärtig auf mein Auto. Zum Glück hatte ich die Möglichkeit, hier ohne Gefahr für andere auf der Stelle zu bremsen und auf unseren Dorfplatz auszuweichen, der ohne Kantstein am Wege liegt.

Da sah ich nun die Bescherung: das ganze Vorderteil, das noch vor der angeblichen Stoßstange angebracht ist, war abgeklappt und hing wohl noch an einem kleinen Scharnierchen o.ä., denn es fiel nicht ganz ab, stieß aber auf die Erde auf. Mit meinem geringen technischen Verstand begriff ich trotzdem, dass das Befestigungssystem kaum länger als ein Jahr halten konnte. Die ganze Vorderteilklappe war mit drei kleinen Plastikdübeln in drei einfache Löcher in einer Plastikverkleidung eingelassen. Ein Dübel fehlte ganz, einer war kaputt, und der dritte hatte wohl keine Lust mehr; kann man ihm nicht verdenken. Um wieder nach Hause zu kommen, musste ich das Teil nun irgendwie befestigen, mit Draht oder Strick, aber am Auto selbst war nichts, um es festzubinden. Also mit voller Kraft Vorderteil anheben, Knie drunter, festhalten, Loch suchen und mit dem einzigen Dübel einrasten. Das Ding war schwer, denn es war nicht nur das Nummernschild daran befestigt, nein, das war das wenigste, es war neben etlichem Gestänge auch ein grobes Gitternetz aus Plastik eingebaut. Das ist bei Geländewagen wohl dafür vorgesehen, um eventuelle Kühe davon abzuhalten, direkt in den Motor zu gelangen und dort alles zu verstopfen.

Am nächsten Tag auf der Fahrt in die Werkstatt stieg ich immer wieder aus, um die Lage zu inspizieren, und trat auch mal mit dem Fuß zu. Der junge Mechaniker war sehr nett und interessiert, so etwas hatten sie (angeblich) noch nie. Nach zwei Stunden konnte ich den Wagen wieder in Empfang nehmen. Freudestrahlend teilte er mir mit, man hätte nun eine größere Schraube genommen und die Dübel wieder ersetzt. Nun sollte es wohl halten.

Mir wäre es viel lieber gewesen, sie hätten alles auf Nummer Sicher fest angeschweißt, und meine Begeisterung war nicht groß. Er sah mir wohl Zweifel an und wollte mich gerne mehr in Sicherheit gewogen sehen. "Wissen Sie" sagte er, "man kann das natürlich auch noch auf andere Weise unterstützen: Sie müssen einfach schneller fahren, ganz schnell fahren!" Er stellte sich seitlich zum Vorderteil des Autos, ging etwas in die Hocke, streckte den Arm vor und spreizte alle Finger ab, blähte die Hand förmlich auf. Und damit machte er dann - wummm! -, schöpfte die Luft und schmiss sie gegen das Auto. "Sehen Sie, so...wummm- wummm" und zweimal knallte er die Luft gegen das Auto, "so kommt der Wind, wummm!, dieser Fahrtwind angeflogen, wenn Sie schnell fahren. Und je schneller Sie fahren, wummm-wummm-, desto mehr drückt dieser Wind gegen das Auto, und dann fällt das Vorderteil nicht mehr so leicht ab".

In meinem Blick sah er wohl immer noch keine völlige Überzeugung. Konnte er auch nicht, denn ich dachte immer nur an E-wie Emil, und deshalb wohl setzte er noch hinzu "wenn jetzt etwas abfällt, ist es wohl eher ein Rad als das Vorderteil".

Mein Rat: fahren Sie ganz, ganz schnell, damit das Vorderteil nicht abfällt und passen Sie gut auf, wenn dann das Rad abfällt.

8 Jahre später:

Um unser Inselchen richtig zu verstehen, muss ich diese recht üble Geschichte auch noch anhängen. Nachdem das Auto x-mal durch den TÜV gegangen war, hatte ich plötzlich Probleme. Alle Proben fielen zufriedenstellend aus, was kein Wunder war, denn ich hatte am Vortag alles überprüfen lassen und 80 € bezahlt. Aber man gab mir die Plakette der Fahrerlaubnis nicht, und ich durfte das Auto nicht fahren. Ich sollte eine schriftliche Bescheinigung beibringen, dass es sich um ein Originalauto mit Originalteilen handelt, denn man zweifelte die vordere Stoßstange mit dem Autokennzeichen an, es kam dem Angestellten so fremd vor.

Es war Freitag, der Tag danach. Ich musste das sofort erledigen, denn sonnabends wurde nicht gearbeitet, sonntags schon gar nicht, und ab Montag haben wir Karneval für 14 Tage oder mehr, und dann geht hier überhaupt nichts. Also los, zu meiner RENAULT-Vertragswerkstatt. Man ist dort sehr freundlich und entgegenkommend, aber das nützte gar nichts. Die TÜV-Station nahm den Hörer nicht ab, als der Werkstattchef dort nachfragen wollte, was nun geschehen soll. Eine halbe Stunde lang nichts, nada (das Übliche, wie ich gehört habe). Als endlich eine Verbindung zustande kam, war der Angestellte, der die Zweifel in die Welt gesetzt hatte, zum Frühstück.

Das war's, bisher. So wie immer: nichts geht, aber das ist normal, und die Palmeros haben sehr viel Geduld im Warten. Ich sitze im Auto und schreibe das schon mal nieder als Ventil zum Ablassen der ersten Wut von gestern und der zweiten Wut von heute. Ich habe Hunger, und Durst, und kalte Füße. Kein Verständnis habe ich dafür, dass die vom TÜV nicht die gängigen Autotypen kennen, keinen Katalog zum Nachschlagen haben oder einfach im Internet nachsehen oder Kontakt zum Hersteller aufnehmen können. Sind die denn alle blöd? Ich bin nicht die einzige, die solch ein Auto fährt, davon gibt es genug auf der Insel, die ständig durch die Kontrolle gehen, und das kennen die nicht?

Na gut, ich warte weiter.

Zwei Stunden sind vergangen, bis mir der Werkstattchef die endgültige Auskunft gibt: er hat mit allen einschlägigen Stellen gesprochen und ist zum Schluss an den Hersteller in Frankreich verwiesen worden, nur der kann die entsprechende Bescheinigung ausstellen. Falls der Hersteller das per E-Mail tätigt, und der TÜV eine E-Mail-Nachricht anerkennt, dann kann das in wenigen Tagen geregelt sein. Fordert der TÜV allerdings eine schriftliche Bestätigung per Post, dann dauert es sicher lange. Und solange darf ich das Auto absolut nicht bewegen.

Meine dritte Wut hielt sich nun nicht in Grenzen. Man darf nicht vergessen, ich bin uralt, lebe alleine und wohne in den Bergen weitab von irgendwelchen Nachbarn, und ich brauche das Auto. Sehr böse bin ich auf alle Beteiligten, außer dem Werkstattchef, der ist wirklich sehr nett.

Bestimmt berichte ich Ihnen wieder, wenn es etwas Neues gibt. Sie werden ja auch wissen wollen, wie das nun weitergeht. Vielleicht trifft Sie eines Tages so etwas Ähnliches, oder der Schlag, falls Sie die Sprache nicht genügend können, um sich da durchzufinden. Wenn ich den Werkstattchef richtig verstanden habe - und das nehme ich an, denn er hat es von Hand nachvollführt an einem nebenstehenden Auto - werden sogar nichtoriginale Zierleisten reklamiert und verhindern die Fahrzulassung. Anscheinend hat man nun endlich erkannt, wie unfallträchtig Zierleisten sind, wenn es sich nicht um die Originale handelt.


Sonnabend und Sonntag war ich nun festgenagelt zu Hause. Es waren sonnige Tage, und ich ging in meinem Garten immer hin und her. Aber das ist nicht dasselbe wie Autofahren.

Montag war Rosenmontag, Dienstag auch ein Karneval-Feiertag, keiner arbeitet. Mittwoch hatte ich einen Kliniktermin, auf den ich ein Dreivierteljahr gewartet habe. Natürlich fuhr ich da hin, auch ohne Fahrerlaubnis. Ich bereitete mich auf jeden Fall schon mal mit ganz derben Verteidigungspassagen vor, die mir in Spanisch nicht gerade leichtfielen, aber leider kam nichts davon zum Einsatz, ich wurde nicht angehalten. Donnerstag und Freitag fuhr ich sogar in unsere Hauptstadt, d.h. bis nahe dran und nahm dann ein Taxi. Alle Parkplätze waren mit Karussell-Monstern und Verkaufsbuden vollgestellt, so dass man keine Parkmöglichkeit hatte.

Ja, und Sonnabend und Sonntag gehe ich nun wieder in meinem Garten hin und her. Der Werkstattleiter hat mir bestätigt, dass der Hersteller das Dokument per E-Mail schicken wird. Aber wann?

Montag. Als erstes in die Werkstatt. Der Chef ist immer noch sehr nett. Er hat schon früh um acht beim Hersteller angerufen und Bescheid bekommen, dass es diese Woche wohl was wird mit der Bescheinigung. Er würde mich anrufen. Er entschuldigte sich, dass eher nichts zu machen war, da der Autohersteller die vorhergehende Woche geschlossen hatte (na, RENAULT, geht wohl nicht so gut, was?).

Mittwoch. Ich versuche es mit meinem fast immer erfolgreichen Trick, ich nehme dem Werkstattleiter für seine Gattin eine schöne Orchidee mit 14 herrlichen Blüten mit, in durchsichtiger Geschenkverpackung, das macht enormen Eindruck. Auch diesmal, bei ihm. Er griff sofort zum Telefon und sprach hinein. Ja, sagt er mir dann zuversichtlich, das läuft nun an, man wird die APIN oder NUGF oder TIFN oder so ähnlich konsultieren, ob die Bescheinigung durch E-Mail übermittelt werden darf, oder ob das nur auf dem Postwege möglich ist. Ich sagte ihm, bitte erklär mir das verständlicher, ich schreibe darüber. Das tat er gerne: also es gibt da eine Aufsichtsbehörde (die mit der obigen Abkürzung) für die Ausstellung von Bescheinigungen, wo man Erlaubnis einholen muss für die Vergabe von Dokumenten und auf welchem Wege. Und diese Behörde wollte der Autohersteller nun konsultieren. Und ich musste erst mal warten, was dabei herauskam. Meine Orchidee hat zwar sehr gute Dienste geleistet, aber die dadurch gewonnene tiefgründige Auskunft ließ meine vierte Wut auflaufen: diese ganzen Probleme und unhaltbaren Zustände verdankte ich der Unwissenheit des TÜVs! Gibt es denn so was, dass sie dort gegen gutes Geld Autos kontrollieren und nicht wissen, wie die aussehen?! Das ist doch nicht zu fassen!

Es gibt in der Zwischenzeit immerhin auch Erfreuliches. Ich fahre mit dem Auto umher trotz Verbotes und habe vorgestern die Verlängerung meines Führerscheins erledigt. Dabei parkte ich in der Hauptstadt im totalen Halteverbot, reserviert für eine Abteilung der Inselregierung. Ich wollte es mal so richtig drauf ankommen lassen. Ich hatte auch keine Quittung über die Autoversicherung dabei, weil die Post verloren gegangen war. Der Postbote hatte unsere Briefe wohl wieder einmal beim Nachbarn unter den Stein gelegt anstatt unter den unseren. Und - hinter der Hand gesagt - mein Führerschein war schon vor mehr als einem Jahr abgelaufen, weil sie ihn nur für ein Jahr verlängert hatten statt für zwei. Lauter solche Sachen machen sie hier. Leider hatte mein renitentes Parken auf dem Regierungsplatz keine Folgen, gerne hätte ich mal mit einem von da oben lebhaft gesprochen.

Freitag. Meine Lesebrille ist kaputtgegangen, und ich fahre zum Optiker. Na klar, ich will ja nun nicht wegen dem TÜV aufhören zu gucken. Ich kaufe auch gleich einen Vorrat an Lebensmitteln, denn ich will ja auch nicht verhungern.

Das dritte Wochenende ist da. Ich gehe wieder im Garten hin und her, immer hin und her. Dabei finde ich eine gute Portion Pfifferlinge unter meinen Kastanien. Ist ja wenigstens etwas.

Donnerstag der dritten Woche. Ich sitze wie auf Kohlen und warte und warte und warte auf den Anruf, dass irgend etwas läuft in meiner Angelegenheit. Nichts. Am besten ist, ich fahre mal wieder ganz persönlich in die Werkstatt. Als der Chef mich von weitem sieht, greift er sofort nach dem Telefon und spricht hinein, und nickt mit dem Kopf, und guckt ein bisschen rum. Als ich an seinen Empfangstisch komme, kann er mir das Neueste berichten: also die Richtigkeitsbescheinigungsantragsaufsichtsbehörde erlaubt nur echte Bescheinigungen auf dem normalen Postwege. Da kann ich wohl lange warten.

Aber nein - heute ist Sonnabend, und was sehe ich da in meinem Computer?! Die Bescheinigung! Dann ging das doch auf diesem Wege, und alles Vorausgesagte war falsch, zum Glück. Welche Freude. Und mein Auto ist tatsächlich original, auch von vorne, woran der TÜV Zweifel hatte. Zwar gehe ich ab heute nun schon das vierte Wochenende in meinem Garten hin und her, aber Montag kann ich nun endlich wieder mit dem Auto fahren und mir die Plakette abholen.

Hurra, heute ist Montag. Freudig eile ich zum TÜV, auf der anderen Seite der Insel, immerhin einige 30 km zu fahren. Und freudig lege ich dem zuständigen Angestellten die tolle Bescheinigung des Herstellers vor. Warum guckt er denn so irgendwie verständnislos??? Warum vergleicht er denn immer wieder den Wortlaut mit der Tüv-eigenen Urkunde? Ja - d.h. nein - stimmt denn etwas nicht? Und nun kommt's, halten Sie sich fest: "Leider kann ich diese Bescheinigung nicht anerkennen, das Wort für das fragliche Teil ist nicht das, was wir erwartet haben". Himmel - Arm - und Zwirn! Wusste nun die Autofabrik nicht, wie ihr Teil hieß, oder hatte sich der TÜV seine eigene Bezeichnung ausgedacht? Und die war gültig? "Und was soll ich nun machen?" fragte ich ziemlich ungehalten. "Sie brauchen nur vom Hersteller in einer neuen Bescheinigung das richtige Wort gebrauchen zu lassen, und dann kommen Sie wieder her".

Na, das wäre ja noch schöner! Nochmal drei Wochen Kontaktsuche und Warten auf eine neue Bescheinigung. Und dann wieder her. Das kam gar nicht infrage. Ich forderte, den Direktor sprechen zu dürfen. (Man hat mir manchmal schon - leicht bemängelnd - gesagt, ich hätte doch etwas männliche Charakterzüge, nicht so vollkommen weich und weiblich, da kann ich nur sagen, wie sollte ich denn sonst das Leben meistern, wenn ich ganz alleine mit solchen Geschehnissen fertig werden soll.) Ich durfte ihn sprechen. Ziemlich barsch sagte ich ihm, dass ich drei Wochen ohne Auto war, weil sein Personal die Typen nicht kennt, und dass ich verärgert bin, dass nun wieder neue Probleme auftreten. Er wand sich ein bisschen mit Drumrumgerede, neuen Gesetzen usw., wollte aber in meinem Falle nichts machen können.

"Sie brauchen doch nur eine neue Bestätigung, dass die Stoßstange original ist, dann werden wir weitersehen" wollte er mich trösten. Ich war hingegen der Meinung, wenn die Stoßstange als nichtoriginalverdächtig reklamiert wird, muss der TÜV das doch nachweisen können, aber wir wurden uns so nicht einig. "Gut", sagte ich, "geben Sie mir bitte Ihre Karte, ich möchte diese Angelegenheit beim Verbraucherschutz reklamieren". So eine Karte hatte er nicht (ist das zu fassen, von einem Betrieb mit Riesenanlage und diversen Angestellten und einem Direktor?), aber ich ließ nicht locker: "dann schreiben Sie alles auf einen Zettel, die Betreiberfirma komplett mit eingetragener Registernummer, Ihren Namen mit Ausweisnummer, volle Anschrift der TÜV-Anlage, Telefon, Webseite und E-Mailanschrift".

Er war ein kleiner Mann. Und ein Flüsterer - ein Spanischflüsterer. Ich verstand ihn nicht immer, und ließ ihn eine Erklärung gerne zwei- und dreimal wiederholen, aber er blieb geduldig, denn er hatte ein bisschen Angst vor mir (wäre auch eine weitere erfreuliche Charaktereigenschaft: sie ist angsteinflößend). "Ich werde mal in Madrid anrufen, vielleicht können wir das auf diesem Wege regeln" kam er mir entgegen, "würden Sie bitte draußen warten, ich rufe Sie dann wieder rein". Ich sah auf die Uhr und wartete draußen. Nach einer geschlagenen Stunde marschierte ich ohne Hilfe und Voranmeldung wieder zu seinem Büro und fragte, was nun sei. "Ja, leider nimmt in Madrid niemand ab". Und das erträgt dieser Direktor eine Stunde lang? Ich nicht! Mir ist entfallen, was ich diesem kleinen Direktor alles sagte, es war sehr viel, sehr hart, obwohl mir eigentlich die Worte fehlten für diese hundsgemeine Situation, aber es wirkte. Er sah sich das Auto mal persönlich an, fand natürlich nichts zum Reklamieren, denn Stoßstange ist Stoßstange, aber erst einmal angezweifelt, vielleicht doch nicht?. "Wir machen jetzt ein Foto von der Stoßstange und mailen das dem hiesigen RENAULT-Verkäufer (nicht der RENAULT-Werkstatt, wo man mir schon so gut geholfen hatte), und Sie fragen dort nach Jaime, der hilft Ihnen weiter. Und wenn alles erledigt ist, dann kommen Sie wieder hierher und legen die Papiere hier vor. Ich klebe Ihnen schon mal das Fahrerlaubnisetikett an die Scheibe. Sie müssen nicht sofort kommen, aber in den nächsten Tagen". Na, das war ja schon mal was Positives. Erneut musste ich das Auto durch die Kontrollanlage fahren, um an einer Stelle das Foto zu machen. Nach dieser großartigen Entwicklung bestand ich dann nicht einmal auf den Zettel mit allen Betriebsdaten, weil eine Reklamation ja vielleicht überflüssig wurde.

Nun denn, noch ein paar Kilometer weiter zum RENAULT-Händler. Dort war man sehr freundlich. Mehrere guckten sich das Auto an, fanden es normal, eine Angestellte machte Fotos von allen Seiten von der Stoßstange, auch im Halbprofil, denn das vom TÜV gemailte Foto war wohl nichts. Jaime war besonders nett und erklärte, dass er nun den Fahrzeugschein für ein paar Tage dort behielte und nachtragen würde, dass das Auto vorne eine originale Stoßstange hätte, dann wäre beim nächsten TÜV nicht mehr mit Problemen zu rechnen. Ich ließ mir ein Glas Wasser geben, denn meine heftigen Kopfschmerzen machten eine Tablette dringend nötig.

Meine Gefühle waren sehr gemischt, als ich mich auf den Heimweg machte. War das nun alles normal? Sollte ich eigentlich gar nichts zu meckern haben sondern mich freuen, dass alle so entgegenkommend waren? Mir fällt ein, dass auf dem Fahrzeugschein noch kein Seitenspiegel vermerkt war, kein Scheibenwischer, auch keine hintere Stoßstange und deren originale Richtigkeit. Den Gedanken, was da noch alles auf mich zukommen kann, schiebe ich ganz schnell beiseite.

Überhaupt mache ich jetzt mit der Geschichte Schluss. Wird ja schon recht langweilig, und ich habe auch keine Lust mehr. Entweder klappt es nun beim nächsten Versuch mit den korrigierten Autopapieren, oder es klappt nicht. Auf jeden Fall schwöre ich Stein und Bein, dass sich alles genau so zugetragen hat, wie hier beschrieben. Nur ein paar aus Wut geheulte Tränen habe ich unterschlagen, weil sie mir peinlich waren.

Legen Sie diese Geschichte nicht so weit weg, oder erinnern Sie sich wenigstens daran, wenn Sie ein neues Auto kaufen. Lassen Sie sich als erstes, möglichst vom Hersteller, eine Bescheinigung geben, dass alles am Auto original ist, sonst kann es Ihnen genau so ergehen wie mir. Oder Sie schiffen sich bei Problemen dann einfach ein, und lassen die Inspektion anstandslos auf einer anderen Insel oder sogar auf dem Festland machen. Ich kenne so jemand mit einem speziellen Jeep, der hier nie durch den TÜV kommt.

Ende gut, aber nicht zu fassen

Zwei Jahre später bei der nächsten Prüfung legte ich freudig mein mit viel Mühe und Umstand erworbenes Papierchen vor, und der Angestellte sagte: "Was ist dass denn, das brauchen wir nicht".


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