05.10.2021 Tag siebzehn der Eruption
Dienstag 05.10.2021 El Paso 07:00 Uhr
Freunde kann man sich aussuchen
Familie und Nachbarn eher nicht
Das Leben ist kein Wohnprojekt. - Eigentlich ist es gut, dass ich so viel Asche schippen muss. - So habe ich weniger Zeit, die ganzen medialen Kollateralschäden nach irgendwelchem Sinn zu durchforsten. - Aber wir sind ja nicht in Nordkorea, also müssen wir damit wohl umzugehen lernen. - Allerdings nervt es, mehr Zeit aufwenden zu müssen Nachrichten zu kontrastieren und zu hinterfragen, als man dafür aufwendet, den Inhalt zu verstehen. Ich nenne das, das doppelte Sellerie-Prinzip. Verbraucht angeblich bei der Verdauung mehr Kalorien, als das leckere Gemüse mit sich bringt. - Gleichzeitig verbraucht man mehr Zeit mit dem Faktencheck über Sellerie, als der ursprüngliche Artikel Zeitvertreib geboten hat. - Darum doppelter Sellerie-Effekt. - In die Kerbe schlagen auch Meldungen, welche uns den Vulkan noch um die Weihnachtszeit attestieren, auf der Cumbre nach Amerika surfen, und manche bereits von einer großen Umsiedlungsaktion schwurbeln, Aridane goes Brandenburg. - Das Problem dabei ist, die andere Seite, die helle Seite, also die mit dem festen Händedruck, die kann nur Beobachtungen liefern und Thesen aufstellen und keine festverzinsliche Zeitabläufe aus der Tasche ziehen. - Allerdings macht der Versuch, neben einem rülpsenden, stinkenden und eruptierenden Vulkan Alltag zu üben sehr müde, sehr, sehr müde sogar und wenn ich dann nicht meine ausreichende Portion Katzenschmusen bekomme, dann wird es wirklich hart. - Ich schaue inzwischen morgens erst auf die Erdbebenseite des IGN, dann schon auf die Wettervorhersage um zu wissen, ob es denn tatsächlich lohnt, heute wieder ans Aschschippen zu gehen. - Allerdings ist es auch bereits Alltagserfahrung, dass mehrere Ascheschichten viel schlechter zu entfernen sind, als ein frisch gelegter Gruß des Vulkans. Also wieder raus aufs Dach. - Auf keinen Fall warten bis es regnet, das wäre fatal für die meisten Abläufe, welche dann sofort verstopft werden. - Darüber hinaus wird das Zeug einmal nass zu einem schweren, zähen Sandkuchen, der noch schlechter zu entfernen ist, als trockener Staub mit Besen und Schaufel. - Ich erzähle Ihnen das nur, weil ich keine Lust habe, heute zu fegen und mich irgendwie davor drücken will… Nutzt nichts, wir haben noch Dächer, andere nicht, also raus mit dem Besen und den Auswurf des ungeliebten Nachbarn entfernen. - Und nicht, dass mir der Nachbar zur Familie wird und bleiben will!
Eigentlich eine ruhige Nacht, nur gegen Mitternacht eine Serie von Explosionen, welche wieder das ganze Tal geweckt hat und in Schrecken versetzt. - Seit dem brubbelt der Vulkan wieder rhythmisch atmend vor sich hin und das Verhältnis zwischen ausgestoßenen Gasen und fließender Lava deutet wieder auf einen eher "ruhigen Fluss" hin. - Deformation stabil, Beben im südlichen Bereich der Cumbre Vieja auf einem erneuten Höchststand, wobei es keine Tendenz der Hypozentren nach oben gibt. - Der Krater selbst formt sich nun täglich neu, zumindest was den oberen Bereich angeht und im Moment scheint der Lavafluss ausschließlich Richtung Westen zu laufen, also runter ins Meer. - Dennoch, die Gefahren für das Industriegebiet, wie auch La Laguna sind noch nicht vorbei, wird die nachdrängende Lava nicht schnell genug über die "Autobahn" ins Meer geleitet, dann droht eben eine ständige Verbreiterung der augenblicklichen Lavazungen. - Wieder hat Enrique hier das Fleißbildchen verdient, der versucht weiterhin den Überblick über die Lavaströme zu behalten und muss bald zweistellig jonglieren. - Als echtes Leckerli für heute Abend kann ich dann noch einen wirklich wissenschaftlichen Artikel ankündigen, welcher von Dr. Andreas Klügel der Uni Bremen stammt und sich mit der augenblicklichen Situation des Magmatransportes unter den Kanaren befasst. - Ja, jetzt bin ich auch mal so gemein und halte den wirklich guten Stoff noch ein bisschen zurück…
CienciasyVolcansHoy versuchen Herr über die Lavaströme zu bleiben, keine leichte Aufgabe
Etwas ernüchternd, die Zahl der starken Beben unter der Cumbre Vieja nimmt ständig noch zu und lässt keine Hoffnung auf ein baldiges Ende der Eruption zu
Volcano Discovery zeigt uns die Bebenserie der letzten Tage unter der Insel. Deutlich zunehmend in der Anzahl, aber keine aufsteigende Tendenz. - Das war vor der Eruption am 19.9.2021 noch anders. - Bislang scheint der Druck unter der Insel durch das Ventil am Kuhkopf ausreichend entlastet zu werden
Dienstag 05.10.2021 El Paso 19:30 Uhr
Der kennt keine Gnade der Vulkan
Laut, ungehobelt, schmutzig, aufdringlich und unausstehlich
Irgendwie erinnert mich das an eine Beschreibung aus meiner Hippie-Zeit. - Ich kann ja wohl nicht gemeint gewesen sein, mit Vulkanen hab ich so viel gemein wie mit der FDP. - Aber lassen wir das Geplänkel, anschließend kommt der Text vom Spezialisten und bis dahin nur noch das Wichtigste vom Tage. - Für mich war das, ich habe es endlich geschafft, meine beiden "Angstdächer" vom Asche und Lapilli zu befreien, denn die sind hoch und ohne Halt und ich habe irgendwann meine Schwindelfreiheit verloren. - Jetzt kann der Vulkan also wieder draufaschen und dann geht das Ganze von vorne los. - Laut, sehr laut sogar heute, also wird das Gas durch eine Düse gedrückt, kein Wunder bei dem vielen Druck. - Beben gehen weiter so, viele um die 3, eines sogar 3,9 und weiter im Umkreis des Nambroque, also weiter südlich und höher als der bisherige Auswurfkrater. - Die Deformationen der Stationen LP03 und LP04, also die beiden im Süden, sind gleichbleibend, daraus schließt der interessierte Laie, dass der vorhandene Eruptionskrater immer noch ausreicht, den aufgebauten Druck abzuleiten. - Ansonsten müsste man bei dem Bild an Beben und der aufgebauten Energie längst mit einer Eruption rechnen. - Aber erinnern wir uns, die Woche vor dem Ausbruch gab es auch viele Beben weiter im Süden und dann ist die Chose noch schnell nach Norden gewandert und hat damit den Schlamassel in bewohntem Gebiet verursacht. - Die Lava-Autobahn funktioniert, die Breite der zerstörerischen Lavazunge nimmt nur noch ganz langsam zu. - Das hört sich ein bisschen nach Entspannung an, aber das gilt natürlich nicht für diejenigen, deren aufgebaute Existenz da weiter knapp am Untergang liegt und hofft. - Keine Explosionen heute, nur manchmal dumpfe und tiefe Knallgeräusche, welche aus dem Inneren des Kraters zu kommen scheinen. - Viel schwarzer Rauch und der Wind macht ein bisschen Sorgen, da er hin und wieder ein bisschen auf Süd dreht. - Anschließend die wichtigste Grafiken von heute und dann spricht der Dr. Andreas Klügel zu uns.
Die Beben und die aufgebaute Energie der letzten 7 Tage bis heute, aufgearbeitet von Volcano Discovery
Gleiche Quelle, hier aber der Ablauf der letzten 30 Tage. - Also mit dem Beginn des Schwarmbebens welches letztendlich zu der Eruption am 19.9.2021 geführt hat. - Warum seit dem 19.9. keine kleinen Beben mehr verzeichnet sind liegt am Tremor, der kleine Beben fast gänzlich mit seinem "Krach" überdeckt
(…) Zum Thema Erdbeben, also der syn-eruptiven Seismizität, die sie ständig spüren: Das gab es auch bei El Hierro 2011-2012, nur lagen diese Beben während der Eruption tiefer (20-25 km, im oberen Erdmantel) als jene VOR der Eruption (knapp 15 km, nahe der Kruste-Mantel-Grenze). Hier ist die Situation etwas anders und ich schildere Ihnen einmal meine Einschätzung der Dinge. Ich habe mit anderen Kollegen Minerale in Basalten historischer und prähistorischer Eruptionen der Cumbre Vieja untersucht, um die Tiefe von Magmenreservoiren zu bestimmen (sogenannte "Geobarometrie") und darauf basierend ein Modell publiziert, das in der angehängten Abbildung gezeigt ist. Die rot markierten Bereiche stellen dabei den Weg des Magmas während einer Eruption dar; bei den blau-orangen Teilen handelt es sich um "Reste" bzw. kleine Magmenkammern früherer Eruptionen.
Generell befinden sich relativ kleine Magmenkammern, aus denen die Basalte während einer Eruption gefördert werden, im oberen Mantel in ca. 16-25 km Tiefe ("pre-eruptive magma storage"). In diesem komplexen Bereich, der vielleicht aus vielen kleinen Kammern besteht, sammelt sich das aus der Tiefe aufsteigende Magma an, bis der Druck zunimmt und das Umgebungsgestein reißt. Dies könnten die seismischen Schwärme Ende Januar und Ende Juni dieses Jahres angedeutet haben. Dann steigt das Magma höher, zunächst in eine andere Etage in der Unterkruste in ca. 7-13 km Tiefe, wo es sich weiter ausbreitet ("magma accumulation zone"). Damit lassen sich die seismischen Ereignisse Mitte September erklären.
Von der Akkumulationszone aus kann das Magma weiter aufsteigen, wenn Nachschub aus der Tiefe erfolgt; dies resultiert dann in flacheren Erdbeben und geringer Oberflächendeformation, wie sie 2017 und 2018 beobachtet wurden. Hier kann das Ganze vorläufig zu Erliegen kommen, wenn der Druck aus der Tiefe noch nicht ausreicht, oder das Magma steigt weiter auf und tritt an der Oberfläche aus, wie es Mitte September passiert ist. Dies war an den Erdbeben sehr gut zu sehen, die von rund 10 km Tiefe ausgingen und immer flacher wurden.
WÄHREND einer Eruption steigt das Magma nicht einfach kontinuierlich auf, sondern verweilt für eine kurze Zeit - vielleicht nur ein paar Stunden - innerhalb dieser Magma-Akkumulationszone in 7-13 km Tiefe. Möglicherweise ist dies ein geometrisch sehr komplexer Bereich, für dessen Passage das Magma länger braucht. Oder es findet ein seitwärts gerichteter (lateraler) Transport statt, wie es 2011-2012 bei El Hierro der Fall war. Auf alle Fälle deuten die barometrischen Daten darauf hin, dass das geförderte Magma aus dem oberen Erdmantel kommt und nicht aus dieser Akkumulationszone - hier pausiert es nur.
Die nun auftretenden Erdbeben in ca. 10 km Tiefe scheinen also Veränderungen innerhalb der Magma-Akkumulationszone bedeuten. Eine Möglichkeit wäre die Ansammlung von noch mehr Magma, d.h. es fließt mehr aus der Tiefe hinein, als eruptieren kann. Dies würde in einer leichten Aufwölbung der Cumbre Vieja resultieren, was die GPS- und Satellitendaten auch andeuten. Eine andere Möglichkeit wäre die allmähliche Entleerung und damit einhergehende Druckentlastung der Akkumulationszone, was die tiefen Gesteine zurechtrücken lässt (kleine Kollapse) und damit Erdbeben erzeugt. Eine dritte Möglichkeit ist eine heftige Entgasung in der Tiefe durch das aus dem Mantel schnell aufsteigende Magma (der jetzt eruptierte dünnflüssige Basanit), denn die dabei austretenden "Gase" (sogenannte Fluide) sind sehr mobil und können in das Gestein eindringen und Brüche verursachen. Hier wäre es interessant zu sehen, ob die zunehmende Erdbebentätigkeit im Verlauf der Eruption mit zunehmender Entgasungstätigkeit korreliert. Kann man die Entgasung / Lavafontänentätigkeit der letzten 2 Wochen quantifizieren?
Ob es zu der Öffnung eines weiteren Schlotes an ganz anderer Stelle kommt, ist möglich, kann aber nicht vorhergesagt werden - es sei denn, die Erdbeben werden flacher, wie zu Beginn des Ausbruches. Da die aktuellen Schlote aber nicht ganz oben auf der Cumbre Vieja sitzen, sondern auf der Flanke und immer noch problemlos fördern können, sieht es zur Zeit aber nicht danach aus. In diesem Zusammenhang sollte El Hierro 2011-2012 betrachtet werden, denn auch hier kam es in den ersten Wochen der submarinen Eruption zu heftigen Entgasungen, die man durch die spektakulären Burbujas im Nov. 2011 sehen konnte (siehe Anhang). Gleichzeitig kam es zu starker Erdbebentätigkeit - während dieser Phase wurde rund 2/3 der gesamten seismischen Energie der Eruption freigesetzt, also rund doppelt so viel wie die >10.000 Beben vor der Eruption!
Sie können diese Darstellung gerne in den Bog übernehmen. Wie gesagt, dies ist meine jetzige Sicht der Dinge, die nicht zwingend mit der "offiziellen" Sicht übereinstimmen oder richtig sein muss. Aber es ist nicht verkehrt, die aktuellen Beobachtungen vor dem Hintergrund petrologischer Untersuchungen früherer Eruptionen (von denen wir keine seismischen oder Deformationsdaten haben) zu sehen und zu interpretieren.
Video der aufsteigenden Gasblasen vor El Hierro im Jahr 2011
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