01.11.2021 Tag vierundvierzig der Eruption
Montag 01.11.2021 El Paso 07:00 Uhr
La Palma, die Zickige
Nicht mal Katastrophentourismus können wir
Irgendwann will man einfach nicht mehr, oder kann den Besen nicht mehr halten. - Wir sind dann noch los, halbe Stunde vor Sonnenuntergang, um zur Bank zu fahren. - Einzahlungen erledigen wir immer am Automaten am Wochenende, da hat man den schmucken Eingangsbereich der Geldverwahrungsstellen ganz für sich. - Zunächst aber mussten wir uns durch eine apokalyptische Szene hangeln, denn wir wohnen nah am touristischen Hotspot der Insel, der Kirche von Tajuya. - Von dort aus genießen die Insel- oder momentan besser die Vulkangäste einen freien Blick auf den brodelnden Vulkan. - Gut, das habe ich von meiner Terrasse aus, muss nur sehen, dass der Autofokus nicht die Palme des Nachbarn ins Visier nimmt. - Überall versuchte Polizei Autos am Parken oder einfach nur anhalten zu hindern und weil wir mehr oder weniger wussten, was auf uns zukam, betrachteten wir die Szenen voller entspannter Erwartung. - So lange ich keinen Besen mehr halten musste, war mir das auch recht. - Straße hoch, Straße runter staute sich die Angelegenheit, denn, wenn man schon nicht anhalten konnte, dann wollte man doch wenigstens einen Blick auf den Vulkan erhaschen oder dem Beifahrer das ranzoomen per Smartphone ermöglichen. - Dauerkarten dort rund um die Kirche haben zumal die Fernsehgesellschaften, welche inzwischen sogar dort so etwas wie einen Funkturm aufgestellt haben. - Diese Profis, die schicken dann auch jeden weg, der mit seinem Auftauchen vor der Linse drohen könnte, und im Hintergrund steht eine Familie auf dem Dach und versucht die Asche von den Ziegeln zu schippen, damit sie auch nach dem Wochenende noch einen Sonnen- wie Regenschutz über ihren Köpfen haben. - Die Shuttlebusse entließen ihre Vulkansüchtigen, in dem sie ein bisschen die Straße in den Süden reinfahren durften, sonst hätte die auch nie drehen können. - Wir ließen uns also weiter treiben mit der Masse der Parkplatzsuchenden und kaum war man um die Ecke, also wieder weg vom Vulkan, da versuchten alle, wieder umzudrehen. Manche ließen ihren, meist Mietwagen auch halb auf der Straße stehen, um dann zu Fuß ein paar Hundert Meter zurück zu laufen, wieder andere hatten sich schon damit abgefunden, doch nichts vom Unbenannten aber häufig Beschimpften zu sehen.
Für einen Kilometer, also von Vista Valle bis zum Abzweig nach La Laguna, brauchten wir etwa eine halbe Stunde, aber wir wollten das ja so, sonst hätte ich ja heute Morgen auch wieder nur von der Asche schreiben können. - Das wirkliche Problem war aber nun, der Vulkan war so gut wie nicht zu sehen. - Ist er immer noch nicht wieder. - Gestern Abend für ein paar Stunden konnte man mal wieder auf den, immer noch weiter wachsenden Gesellen gucken, dann verschwand er wieder, in sein ekeliges Gewand aus Schwefelgasen und Dampf gehüllt. - All die Mühe, all die Geduld, um dann von Fernsehleuten weggeschickt,von wütenden Nachbarn beschimpft zu werden und von manchen dazu aufgefordert, doch einen Besen in die Hand zu nehmen, und dann ist der Vulkan nicht mal "instagerecht" zu sehen. - Dazu fällt noch Asche und Staub, der Alte sitzt noch im Auto, hat keinen Parkplatz bekommen aber dafür schlechte Laune und jetzt funktioniert das Handy auch schon nicht mehr, weil wohl Sand ins Gehäuse gekommen ist. - Ich glaube man nennt das klammheimliche Freude, als kleines Zuckerle für den ganzen Tag Asche fegen und noch weitere Tage vor uns. - La Palma konnte Tourismus noch nie so wirklich gut. Das war immer eher ein Zufallsprodukt und je mehr man versuchte, irgendwelche Strategien zu entwickeln, um so chaotischer wurde es. - Nicht mal Katastrophentourismus können wir, im entscheidenden Moment hält der Vulkan still und versteckt sich hinter seinem eigenen Mief. Einfach nicht zu vermarkten diese Insel und genau das ist der Punkt, der uns bislang immer ungeschliffen ließ und nicht auf eine Schiene mit massentauglichen und auswechselbaren Destinationen gestellt hat. - Visit La Palma later! - Schauen Sie sich doch an, wie wir das Ding wieder auf die Beine stellen. - Darin sind wir gut, aufbauen, improvisieren, aus schlechtem Material gute Dinge basteln und dabei lassen wir uns lieber auf die Finger gucken, als wenn gerade unsere Existenzen in Bedrängnis sind. - Wir sammeln fleißig bereits Buchungen für den Frühling und den Sommer kommenden Jahres, bis dahin haben wir die Asche auch so weit weg bekommen, dass man diese erst in der dritten Nacht in irgendwelchen Ritzen oder Ecken knirschen hört.
Niemand sonst war auf der Bank, wir konnten unsere Einzahlungen schnell und locker erledigen und auf dem Rückweg fuhren wir einen Schleichweg, damit wir uns den Stau nicht noch einmal antun mussten. - Der Vulkan war die halbe Nacht lang laut, dann scheint sich Robin wieder eingemischt zu haben und die Gase konnten leichter entweichen. - Jede Menge Lava kommt weiterhin aus dem Schlot, direkt in Richtung Westen und man kann eine breite, glühende Lavazunge sehen, welche sich meist über, bereits von vor Wochen bedecktes Gebiet erstreckt. - Weiter im Süden sehen wir nur schwachen Feuerschein, wie es um Las Norias und die noch einzige Straßenverbindung nach Puerto Naos steht, das können wir noch nicht einschätzen. - Im Norden ist es ruhig, die Hälfte La Lagunas steht weiterhin, aber auch ein paar Fumarolen dampfen noch drohend auf der oberflächlich bereits erstarrten Lava. - Der Mist geht gerade im Süden ab und der Vulkan speit weiter Asche und jede Menge Lava und der Blick auf den Wetterbericht zeigt uns, dass es eher Donnerstag besser wird als Mittwoch.
Sie wissen doch, ich bin professioneller Amateuroptimist. - Wenn ich meine Brille schräg aufsetze, dann meine ich eine gewisse Tendenz erkennen zu können...
Quelle: IGN
Weniger Beben, dafür ein paar Klopper der gelben, der Fünfer-Klasse, aber im tiefen Bereich unter 30 Kilometer
Quelle:Volcano Discovery
Montag 01.11.2021 El Paso 17:30 Uhr
Neue Überraschung an der "Südfront"
Dicke Luft aber wenig Asche heute
Las Norias steht noch. - Zumindest der größte Teil davon, die Lavazunge scheint sich mit dem steileren Gelände nach Westen, also nach unten abgefunden zu haben. - Als Wunder gilt das aber noch nicht, denn von Osten, also von oben, kommt bereits die nächste Bedrohung. - Am "Cogote", dem alten Vulkankegel der direkt am Friedhof Las Manchas steht, fürchtet man seit dem die südliche Flanke wieder aktiv ist, die Lava könnte auch im Süden vorbeiziehen und damit auf noch unbeflecktes Gelände gelangen. - Da ist vor allem der Camino La Jurona gemeint und der Teil des Camino Aniceto, welcher noch nicht von der Lava abgedeckt war. - Es musste aber gar nicht zu einer südlichen Umrundung kommen, denn es hat sich ein neuer Lavastrom eng nördlich am Cogote angelehnt und ist jetzt genau und schnell auf dem Weg hinab zur Straße LP211. - Auf dem Weg dorthin ist genau das passiert, was man schon länger befürchtet, nun sind auch noch die Häuser auf der südlichen Seite des Camino Aniceto verschwunden oder in Gefahr und wenn diese Lavazunge sich derart schnell und ungehindert weiter nach Westen bewegt, dann ist das auch eine erneute Bedrohung für Las Norias. - Richtig viel Lava also, die da auf den Weg geschickt wird und wo es die ersten Tage der Reanimierung der Südfront noch "Lava auf Lava" war, so sind nun die Flanken des südlichsten Lavastromes gefährdet, da eben die bereits liegende Lavazunge schon derart hoch ist, dass die frische Lava sich nicht mehr darauf legt. - Viel flüssiges Material wird ja dennoch durch "Vulkantuben" schnell nach unten geführt, aber diese reichen wohl nicht aus, mit der riesigen Menge an Lava fertig zu werden. - Der Tremor gibt Auskunft darüber, dass weiter ungeheure Mengen an Lava ausgestoßen werden und um das mal richtig einzuordnen dazu die erkennende Meinung des Dr. Andreas Klügel:
Ja, so viele Wissenschaftler (mich eingeschlossen) haben zunächst gedacht, dass die Eruption ganz normal für La Palma ist... für die Dauer stimmt das ja noch, aber was das eruptierte Lavavolumen angeht, scheint sie Rekorde aufzustellen. Auch wenn die Schätzungen naturgemäß stark schwanken und die Angabe der Live-Webcam, die sich auf INVOLCAN beruft, mit 245 Mio. m^3 vielleicht etwas hoch erscheint: Selbst wenn es nur die Hälfte davon wäre, sticht diese Eruption aus allen historischen Ausbrüchen der Kanarischen Inseln als voluminöseste hervor, mit Ausnahme der außergewöhnlichen 1730-1736 Eruption auf Lanzarote, die um den Faktor 10 oder mehr darüber liegt. Die Volumen der vergangenen sieben Eruptionen auf La Palma liegen alle bei jeweils unter 80 Mio. m^3 (Zusammenfassung in Longpré & Felpeto, 2021, Journal of Volcanology and Geothermal Research, Vol. 419). Soviel dazu...
Auf der Anzeigentafel steht heute ein glattes 0:4 gegen uns. - Das liegt an der wieder aufgenommenen Wüterei in Sachen Beben. - Wieder mehr und auch wieder kräftigere sind dabei, und auch in den tieferen Schichten rumpelt es wieder häufiger. - Deformation bleibt gleich, ein Punkt für uns wäre eine deutliche Absenkung der Werte in Richtung unten und das bei der Station LP03. - Gase, da nehmen nun die Werte für SO2 in der Rauchsäule des Vulkans seit einer Woche ab und wir liegen zum ersten Mal seit vielen Wochen mit 4.990 nur noch vierstellig. - Wäre da nicht der gleichzeitige Anstieg der Werte beim CO2 im Raum Cumbre Vieja auf eben einen vierstelligen Wert von 1.500 Tonnen täglich. - Also kein Punkt für uns und Tremor wie die gemittelte Tremor-Amplitude lassen selbst bei deutlicher Nachprüfung keinen Punkt für uns zu. - Einzig das Wetter überrascht uns im Tal positiv, denn der Wind weist Richtung Norden und lässt heute kaum Asche bei uns liegen. - Wir können also ohne Parka heute schaufeln und wegspülen und hoffen einfach mal, dass wir die kommenden Tage bis der Passat wiederkommt ähnlich glückvoll überstehen. - Die Luft war zum Teil sehr schlecht, besonders der Feinstaub macht uns zu schaffen. - Richtig feiner Sand, fast schon Staub schickt der Vulkan im Moment in die Luft und das, gemischt mit Schwefeldioxid ergibt einen unschönen Cocktail an Dicker Luft.
Fast volles Rohr
Quelle: IGN
Die "Mineure" waren heute wieder mal die schnellsten in Sachen aktueller Karte. - Die neue Lavazunge macht echte Sorgen und hat auch bereits schlimmen Schaden angerichtet
Quelle: IGME - CSIC
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