10.10.2021 Tag zweiundzwanzig der Eruption
Sonntag 10.10.2021 El Paso 08:00 Uhr
Drei Wochen Zerstörung
Es wird schwer, einen werbetauglichen Namen für das Monster vom Kuhkopf zu finden
Wer nicht quer denkt, denkt weiter. - Manche auch zurück, aber darüber können wir ein anderes Mal reden. - Drei Wochen nun, 1.300 Gebäude, Lebensträume, Infrastrukturen, Arbeitsleben, Existenzen. - Gerade jetzt kriecht das Monster durch das Industriegebiet und knipst die Birnen in Juan Ramóns Lampenladen aus. - Auch das Asphaltwerk, ich weiß nicht, ob es noch steht oder bereits begraben ist, gegen das wir so gekämpft haben, wird niemals einen Meter Straße produzieren. - Gestern Abend brach erneut ein Stück der Nordflanke des Kraters ab und beschleunigte damit die Lavazufuhr in den neuen Strang, der sich durch das nördliche Paraíso und dann aufs Industriegebiet zieht. - Die Siedlung "El Paraíso" ist damit fast gänzlich verschwunden und wüssten wir nicht, dass der Namensgeber ein bestimmter Baum war, ein "Árbol de Paraíso", dann könnten wir uns ein negatives Sinnbild basteln. - Noch weigern wir uns aber bereits Kladden zu schließen und Regionen zu verurteilen, werden aber wohl von einem Vulkan auch begrifflich in die Enge gedrängt. - Callejón de la Gata, dann parallel Camino Cumplido um dann auf den südlichen Teil La Lagunas zu gelangen, das sind im Moment die Zielrichtungen der Lava und fast bräuchten wir bereits ein Wunder, dass dieser Strom wieder zurück in die ursprüngliche Lavazunge mündet.
Der Vulkan selbst, der war äußerst aktiv und extrem laut heute Nacht. - Der Schlot für die Ausgasung scheint zu klein und schmal zu sein und so schießen die heißen Gase mit infernalem Krach aus der Düse und kracht, es faucht und zischt und wer noch Tonmaterial für einen "Volcano-Film" braucht, der kommt einfach hier her. - Dazu zittert und wummert die Umgebung vom Luftdruck, Fenster und Türen klappern ohne Unterlass und zwischendurch spürt man dann noch eines der vielen Beben. - So war die Nacht, dann gab es ein "Schlafloch" zwischen 03.00 und 05.00 Uhr und jetzt ist wieder Stimmung am Zentralkrater, allerdings nicht mehr so heftig wie noch heute Nacht. - Der Aufzeichnung des Tremor ist nicht in der Lage diese Druckluftexplosionen wieder zu geben, so stimmen die Aufzeichnungen des IGN sicherlich, aber der subjektive Eindruck der heutigen Nacht war gewaltiger Natur. Die blanken Zahlen zeigen wenig Veränderung. - Die Beben im Süden gehen unvermindert weiter, alleine 13 zwischen 20.00 und 21:00 Uhr mit Stärken bis 3,9. - Hypo- wie Epizentren ohne auffällige Veränderung. - Deformation minimaler Anstieg LP03.
Nach drei Wochen und wahrscheinlich noch mal einen ähnlichen Zeitraum der Eruption vor uns können wir immer noch keine Bilanz ziehen. - Vorausschau ist immer erlaubt, auch wenn es diverse Unsicherheiten gibt, da wir ja noch nicht wissen, wie groß letztendlich der vom Vulkan verschlungene Teil des Aridanetals sein wird. - Natürlich fragt man sich immer, wie es weitergehen kann, ganz einfach auch, weil es weitergehen wird. - Touristisch in Sachen Vulkan, auch wenn das immer ein Geschmäckle hat, auch wenn keine Toten oder Verletzte bislang zu beklagen sind. - Profitieren dann neue Anbieter oder gelingt es uns, aus dem entstandenen Schaden den Gewinn wieder in die betroffene Region fließen zu lassen. - Leider haben wir keine Strategen, die über Ryanair hinaus blicken oder wirken können, also fürchten wir einfach erneut, dass diese Geschichte später eine Eigendynamik entwickeln wird. - Bisher sind wir damit eigentlich gar nicht so schlecht gefahren. - Unsere Unfähigkeit Dinge schnell und konsequent umzusetzen hat uns nämlich meist vor grobem Unfug geschützt. - aber es gibt noch so viel weitere Fragen: Wie gestaltet sich die spätere Sozialstruktur im Tal, darf dort wieder gebaut werden, wo der Vulkan heute bedroht, oder lichten sich Los Llanos und El Paso dermaßen, dass der Strukturwandel eine Strukturwanderung wird? - Antworten auf Zukunftsfragen kann noch keiner geben. Da rumpelt einer durchs Tal und macht alles kaputt was erreichbar ist und prügelt aufs Paradies ein. Und der soll irgendwann einen marketingtauglichen Namen bekommen?
Hier der Tremor und die Beben als Ausschnitt zwischen 20:00 und 21:00 Uhr
Diese Grafik spiegelt nicht den subjektiven Eindruck rund um den Krater wider. - Die Geräusche, das Wummern, das schrille Fauchen und das Bibbern der Häuser in der Umgebung sind nicht gut grafisch darzustellen
Der einzig verbliebene Schlot für Gas und pyroklastisches Material kann anscheinend die aufsteigenden Mengen nur unter Mühen los werden
Sonntag 10.10.2021 El Paso 18:00 Uhr
Ob wir heute Nacht mal schlafen?
Der Namenlose bleibt unberechenbar
Allein vom Aufzählen der Daten wird es auch nicht besser. - Die Anzahl der Beben im zentralen und südlichen Bereich der Cumbre Vieja bleiben besorgniserregend hoch. - Ein paar Ereignisse nun sogar einstellig in Sachen Hypozentren und weiter schwerere Beben in Tiefen über 30 Kilometer. - Das System scheint weiter zu funktionieren, am Kuhkopf wird das ausgestoßen was über die Kammern unter der Cumbre Vieja an Material angeliefert wird. - Die meisten Spezialisten gehen davon aus, dass es so weitergehen kann, es sei denn, der jetzige Auswurfkrater verliert seine Fähigkeit den Druckausgleich herzustellen. - Da waren wir schon und was auf der einen Seite Druckausgleich bedeutet, kommt auf der anderen Seite als Lava ins Tal und zerstört weiter Häuser und Siedlungen. - Von Todoque ist kaum mehr etwas übrig, seit dem der Nordteil der Lavazunge deutlich besser vom "Druckausgleich" versorgt wird, als der zentrale und besonders der südliche Bereich. - Dort, also vor dem Friedhof Las Manchas bis hinab zum südlichen Teil Todoques scheint es so gut wie keine Bewegung der Lavazunge zu geben. - Erst wieder weiter westlich, also unten, wo sich der neue Strom abgezweigt hat und über die Klippe zur Playa del Charcón unterwegs ist. - Nach letzten Aussagen, ist dieser Strang noch nicht in den Atlantik gelangt, auch ein weiteres Indiz dafür, dass momentan der nördliche Teil der Lavazunge deutlich stärker mit Nachschub versorgt wird. - Allerdings lässt sich vorsichtig auch verkünden, dass der Zug sich verlangsamt hat und momentan kein Anzeichen bietet, Richtung Camino Cumplido und La Laguna fortzufahren.
Das kann sich natürlich jederzeit wieder ändern. - Der Krater ist äußerst instabil und momentan kommen Gase und Lava deutlich unter der Spitze des schnell aufgetürmten Kraters raus. - Der dichte Dampf und Qualm verhindern derzeit einen guten Blick auf das Geschehen direkt an der Austrittszone, das wird erst wieder abends und nachts möglich sein, wenn die Glut und das Feuer die Dinge klar aufzeigen. - Den Krach machen die Gase, das wissen wir ja schon, also hoffen wir mal auf einen gut geschmierten Schlund, aus dem das Monster vom Kuhkopf ohne Probleme ausatmen kann. - Selbst die "regierungstreue" Presse betitelt die letzte Nacht als "infernal" und auch wenn es sicher am ersten Freitag stärkere Explosionen gab, war letzte Nacht wohl ein Tiefpunkt der sowieso schon zögerlichen Relation zwischen dem Vulkan und den Bewohnern des Aridanetal. - Da taucht die Frage auf, warum heißt das eigentlich Kuhkopf? - Es gibt keinen Vulkan der so heißt, noch nicht mal einen Berg oder Hügel. - Die Gegend dort wurde und wird so genannt. - Nach dem Aufstieg, oder seit dem man mit dem Auto dort hoch fahren kann, von Tacande aus, heißt das Gelände nach der ersten großen Kehre zurück Richtung Norden so. - Weiter ging es, muss man sagen, dann zum Llano de las Brujas und Refugio El Pilar. - Vielleicht hat da mal einer mal einen Kuhschädel gefunden oder abgelegt, meine Recherchen fanden meist die Antwort: Du kannst aber Sachen fragen! - Auch sind wir nicht weitergekommen, welchen Paradiesbaum wir denn eigentlich in Paraíso vorgefunden haben, es gibt nämlich mindestens deren zwei. - Melia oder Ölweide, Elaeagnus angustifolia, auch hier muss ich eine Antwort schuldig bleiben und vielleicht weiß ja einer der Leserinnen oder Leser, welcher der Bäume mal gemeint gewesen ist.
Das Wetter begleitet uns heute erneut gnädig, aber für die kommenden Tage ist weiter keine Stabilität zu erwarten. - Erneut zieht ein robustes Tief weit nördlich an den Kanaren vorbei und ist nicht von dem Versuch ein Azorenhoch zu basteln zu beeindrucken. - Vorwiegend Nordwest kommt da als Windrichtung in Frage, aber ohne jeden Bums und Kontinuität. Wir müssen also in den kommenden Tagen im Tal weiterhin mit Besen bewaffnet den Alltag begehen und immer auf der Hut sein vor den Schwefeldämpfen, welche bei wenig Wind sich schnell im ganzen Tal verbreiten. - Es bleibt also auch in der vierten Woche spannend und mal sehen, vielleicht bekommen wir ja die ganzen lokalen Toponyme noch auf die Reihen, bevor man Olaf dem Cabrón einen liebreizenden Namen verpasst.
Weiter bin ich der Meinung, im Moment ist Tourismus keine gute Idee auf La Palma. - Wenn der Böse Onkel nicht mehr spuckt, wenn sicher ist, dass wir nicht weitere Betten für Evakuierungen benötigen, dann legen wir wieder los - und gewaltig!
Einfach nur so, Klatschmohn am Cabeza de Vaca Winter 2013 - Dort sieht es jetzt anders aus...
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