Nachrichtenarchiv La Palma Aktuell Oktober 2016




Samstag 09.10.2016
Höchsttemperatur heute 23,8 Grad - niedrigste Temperatur 17,8 Grad

Das Hirn flieht immer noch Ganz anders als das Kinn

Hirnflucht kennt man sonst vom Fußball, im Privatfernsehen, beim Saufen, oder Montagabend, beim Abendlandretten in Dresden. Aber der Duden kennt das Wort nicht, anders als das fliehende Kinn. - Ich konnte mir nie richtig vorstellen, wie das eigentlich aussieht, ein fliehendes Kinn, vielleicht wenn man das in Zeitlupe nimmt, und als Hilfsmittel Bud Spencer… "Fuga de Cerebro" hingegen ist ein sehr genau bestimmter Begriff in der Spanischen Sprache und heißt zunächst eben Hirnflucht. Beschreibt aber die Abwanderung von Fachkräften aus der regionalen oder gar nationalen Volkswirtschaft oder auch Gesellschaft. - Ganz Spanien kämpft damit, andere Länder sogar noch mehr und hier bei uns auf der Insel kennt und nutzt man dieses Wort bereits viele Generationen lang. Die Kanaren, und eben besonders die kleinen Inseln, mussten immer wieder die breite Abwanderung ganzer Bevölkerungsschichten hinnehmen, wenn die wirtschaftliche Lage mal wieder die Speisekammern leergeräumt hatte. - Zurück blieb meist das Geld und die Armen. Die Einen hatten keinen Grund zu gehen, die Anderen keine Möglichkeiten. Bis heute ist das oft so, meist ziehen die am besten Ausgebildeten los, oder diejenigen, welche die größten Chancen haben, anderswo auch Fuß zu fassen. - Ob man nun da einen Schluss bis hin zur augenblicklich in Mitteleuropa fast panisch geführten Einwanderungsdebatte hinbekommen will, das weiß ich nicht, aber es gibt immer Künstler, die landen sogar kurz hinter Geiselhöring bereits in Rom.

Diese Hirnflucht findet selbst innerhalb der kleinen Insel hier statt, dann bezeichnet man das als Landflucht. Manchmal wird das "Hirn" in dem Moment sogar zu aktiven Familien, welche aus strukturell schwachen Gebieten durch ihren Wegzug noch schwächere hinterlassen. - Der Norden der Insel ist eine solche Region, allerdings lässt jede größere Bewegung auch immer mindestens eine Nische übrig und vielleicht sollte man weniger viereckig gegen die Landflucht angehen, sondern daraus eine, sicher notgedrungene Tugend machen. In dem man diese Regionen dann als Rückzugsgebiete für betuchte Stadtflüchtlinge nutzt, oder als landwirtschaftliche Produktionsstätten. - Ganz La Palma will sich so natürlich nicht ergeben, als Renten- oder Rentnerinsel, mit passiv-unaggressivem UPS (Unter Palmen Sterbing) für Augustinum- aber mindestens Rosenhoffähigem Humanpotential. - Das ist auch nicht wirklich zu vermitteln. Hallo, wir leben noch und wollen sogar global mitspielen, da geraten wir auch sofort auf die oft peinlich geführte "Esel statt Toyota" Schiene, also wer massenhaften Beton als Bild für zukünftige Entwicklung ablehnt, der soll doch besser mit dem Esel neben der Asphaltstraße herlaufen. - Diese Diskussion wird auf der Insel sogar ziemlich scharf geführt, wobei zunächst immer wieder auffällt, dass meist die Begriffe Wachstum und Fortschritt in einen klebrigen Topf geworfen werden und trotz aller stunden- oder seitenlanger Beschwörungen irgendwie nicht mehr trennbar scheinen.

Konkret mahnen immer wieder Kreise rund um den touristischen Sektor mangelnde Sprachkenntnisse der Mitarbeiter oder Bewerber an, und diese fehlenden Fähigkeiten würden die touristische Entwicklung der Insel behindern. - Das ist ohne Frage richtig, leider hat man, aus welchen Gründen auch immer, die Ausbildung in Sachen Fremdsprachen nicht nur auf den Insel immer wieder vernachlässigt und bezahlt heute den Preis dafür, dass man schlichtweg nicht genügend Mehrsprachler zur Verfügung hat. - Noch deutlicher, wer heute auf der Insel jung ist und mehrere Sprachen spricht, der lässt sich diese Fähigkeiten bezahlen, und weil unsere Volkswirtschaft einfach zu klein ist, und auch der Geist noch nicht so weit, dass man gute Leute auch gut bezahlen muss, verschwinden diese Leute einfach. - Mal auf die großen Inseln, oder aufs Festland, oder warum sitzen ganz viele ehemalige Kommilitonen meiner Töchter heute rund um London und kommen La Palma maximal an Weihnachten besuchen? - Es ist ein bisschen kurz gefasst, einfach das Fehlen von Fachleuten zu beklagen und den Wegzug der "Hirne", wenn man gleichzeitig nicht die Mängel unseres Karriereangebotes nennt. - Die üblichen Gehälter in Hotellerie oder rund um den touristischen Sektor auf der Insel sind kärglich, und Aufstiegschancen kaum gegeben, da wir immer gleich an unserer eigenen Decke kleben.

Jetzt fällt das wieder besonders auf, weil äußere Umstände uns einen sehr schnellen touristischen Höhenflug beschert haben, und unser Mangel an fremdsprachenfähigen Leuten nun wieder deutlich wird. Warum das jetzt wieder so stark in den Mittelpunkt gerückt wird, das kann man auch erklären, wir haben nicht nur viel mehr, sondern auch andere Gäste als sonst auf der Insel. Die allermeisten von denen machen sich nicht die höfliche Mühe, mit Langenscheidt unterm Arm, oder Volkshochschulischer Vorbildung bewaffnet andere Regionen zu besuchen. Die fordern Sonne, Service, sowie man spricht Deutsch oder Englisch, und das mit dem Recht, eines über Jahrzehnte gewachsenen Anspruchs, der mindestens durch satte Versprechungen aus Hochglanzzeiten gestützt wird. - Wie gesagt, das hat alles seinen Platz und auch seine wohlfeile Berechtigung, aber La Palma ist dafür einfach nicht, oder noch nicht gerüstet. - Die Gegenfrage darf sein, ob es sich denn auch eines Tages ergeben sollte, dass es sich für unsere Jugend lohnt, sich dieses Rüstzeug anzueignen. Oder ob man gleich wieder fürs Ausland "produziert" wenn man sich mehr Mühe gibt, der Brut Fremdsprachen mit ins Hirn zu drücken.

Aber es bewegt sich was. Auf unserem "Instituto" hier in El Paso, also der Schule, auf welcher man die normale Schulreife, die "ESO" (etwa Mittlere Reife) erreichen kann, genau so wie das Bachillerato, mit anschließender Prüfung zu Hochschulzulassung, gibt es ab diesem Jahr auch Deutschunterricht. - Das gab es schon mal vor vielen Jahren auf der Ostseite, dann verschwand das ganz aus dem Angebot und nun weiß ich das von unserem "Instituto" hier in El Paso, ohne zu wissen, ob denn auch andere, weiterführende Schulen auf der Insel inzwischen diese, für La Palma so wichtige Sprache lehren. - Da haben wohl die vielen Jahre Jucken dann doch irgendwann zum Kratzen geführt. Vielen von uns war das absolut unverständlich, wie man alleine mit einer Fremdsprachen, also Englisch, mit grobem Akzent, überhaupt Abitur machen konnte. - Böse Zungen behaupten jetzt, diese dann auch teutonisch gestählten Pennäler würden nun noch schneller nach dem Abitur abhauen und hätten eben noch mehr Chancen anderswo, wären also ganz sicher für die Insel verloren. - Jetzt kommen wir aber zu einem ganz interessanten Umkehrschluss, wir streichen gleich alle Fremdsprachen aus dem Unterricht und ersetzen das Abitur durch endemische Sportarten und führen Klassen zur Subventionsbeschaffung ein. - Bilden also nur noch Regionalpolitiker aus, dann flieht auch kein Hirn mehr von der Insel und das mit dem Reservat der Weltbiosphäre kann dann ruhig auch als ethnische Aufgabe betrachtet werden. - Gott sei Dank sind wir auf einem besseren Weg, als das der Umkehrschluss zeigt, aber nun wissen wir auch, wie einfach Populismus funktioniert: Kein Hirn kann nicht fliehen!






Familie Ingrid & Mathias Siebold
Calle el Torreón 5/7
E-38750 El Paso
La Palma, Islas Canarias, Spanien
Telefon: + 34 922 497 216
WhatsApp: + 34 616 167 775
email: m.siebold@casamartin.de

Casa Martin Ferienhaus auf La Palma